Die neue Behörde hilft bei der Finanzbetrugsbekämpfung. Was hat funktioniert und was nicht?

23.11.2021
Die neue Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) hat vor etwas mehr als 100 Tagen ihre Tätigkeit aufgenommen. Diese Kämpferin gegen Korruption und Betrug rund um die verschiedenen Fonds der Europäischen Union feierte vom ersten Tag an Erfolge. Sie könnte aber noch viel besser funktionieren.

Allein in diesen ersten 100 Tagen seit ihrer Einrichtung wurden bereits rund 1.700 neu gemeldete Straftaten registriert und über 300 Ermittlungen eingeleitet. Der diesbezügliche Gesamtschaden für den europäischen Haushalt soll bei geschätzten rund 4,5 Mrd. EUR liegen. In Tschechien ist sie mit 12 Fällen befasst, darunter der berüchtigte Interessenskonflikt von Andrej Babiš.

Die neue Korruptionsbekämpfungsbehörde, die ich gemeinsam mit den Piraten seit langem mit großem Nachdruck unterstütze, arbeitet auf Hochtouren und hat nicht vor, nachzulassen. Gleichzeitig ist diese neue Einrichtung ein dringend benötigter und revolutionärer Impuls für die bestehenden europäischen Antikorruptionsinstitutionen! Die EUStA kann nämlich völlig unabhängig von den nationalen Justizsystemen gegen EU-Subventionsbetrüger ermitteln und diese verfolgen. Große Subventionsbetrüger können sich nun nicht mehr bequem und arrogant hinter langsamen oder beeinflussten Justizsystemen verstecken. Jetzt müssen sie sich direkt gegenüber der EU verantworten.

Trotz alledem gibt es bei dieser Behörde noch viele offene Fragen, die geklärt werden müssen. So hat die EUStA derzeit nur 120 Beamte und wird unverständlicherweise von der Kommission selbst daran gehindert, weitere Mitarbeiter·innen einzustellen. Einige Länder, wie etwa Polen und Ungarn, beteiligen sich nicht einmal an der Arbeit der Behörde, und Slowenien, obwohl Mitglied, boykottiert nach wie vor die Ernennung seiner eigenen Staatsanwälte. Wenn die EUStA wirklich ein wirksamer Hüter der Gelder aus dem europäischen Haushalt sein soll, müssen wir zuallererst diese Probleme lösen.


Eine revolutionäre Behörde, die Ergebnisse liefert


Die Aufgabe der Europäischen Staatsanwaltschaft besteht in erster Linie darin, Straftaten zu untersuchen und zu verfolgen, die die finanziellen Interessen der EU schädigen oder bedrohen. Damit befasst sie sich mit Problemen wie Korruption, Geldwäsche, Missbrauch von EU-Geldern oder Subventionen und grenzüberschreitendem Mehrwert-/Umsatzsteuerbetrug. Sie ergänzt sich gegenseitig mit dem Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), das nur Verwaltungsbetrug untersuchen kann, während sich die EUStA mit kriminellem Betrug befasst. Außerdem kann OLAF nach der Aufdeckung eines Betrugs lediglich eine Empfehlung an den Mitgliedstaaten aussprechen, nicht jedoch von sich aus eine Strafverfolgung aufnehmen.

Ein unabhängig gewähltes Team von bis zu 140 Staatsanwält·innen aus allen eingebundenen Ländern, aktuell angeführt von der legendären, aus Rumänien stammenden EU-Generalstaatsanwältin Laura Kövesi, will die Plünderung des europäischen Haushalts, die sich derzeit auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr beläuft, reduzieren.

Um Ergebnisse der Arbeit der EUStA zu sehen, müssen wir nicht lange suchen, gar nicht weit in die Ferne blicken. Es reicht beispielsweise ein Blick nach Kroatien. Dort hat die Behörde Ermittlungen gegen den Bürgermeister der Stadt Nova Gradiška eingeleitet, der eine Ausschreibung zugunsten eines Bekannten manipulierte, und dafür natürlich Bestechungsgelder einsteckte. Dieser erhielt so rund eine halbe Million Euro aus dem Europäischen Kohäsionsfonds. In Italien beschlagnahmte die Polizei auf Antrag der EUStA bei zwei Unternehmen, die die Covid-19-Pandemien zum Schmuggel von Medizinprodukten missbrauchten und damit tatsächlich Menschenleben gefährden, Vermögen im Wert von mehr als 11 Millionen Euro.

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Gefahr für Andrej Babiš?

Auch in den langjährigen Kausen unseres scheidenden Ministerpräsidenten Andrej Babiš kann das neue Amt eine große Rolle spielen. Der Interessenskonflikte von Andrej Babiš nahm sich die EUStA bereits
12 Tage nach Aufnahme ihrer Tätigkeit Anfang Juni dieses Jahres an. Sie waren unter den ersten Fällen, derer sich die Behörde annahm. Bisher wurde diese Angelegenheit von der Oberstaatsanwaltschaft in Prag bearbeitet.

Für Andrej Babiš kann dies in Zukunft zu einem riesigen Problem werden. Obwohl er nicht mehr Premierminister sein wird, gelang es ihm doch, während seiner Regierungszeit aufgrund seines Interessenskonflikts illegal an riesige Geldmengen aus europäischen Fonds zu kommen. Diese Interessenskonflikte dürften zwar mit dem Auslaufen seiner Amtszeit enden, was er aber in den letzten Jahren tat, lässt sich glücklicherweise nicht einfach unter den Tisch kehren.


Die ambitionierte Behörde leidet noch an einigen Kinderkrankheiten

Die neue Behörde ist vom ersten Tag an stark gefordert: Sie soll bis zu 3000 Fälle pro Jahr bearbeiten. Aber wie zu erwarten war, muss ein Amt mit dieser Agenda auf so hohem Niveau mit ausreichenden finanziellen Mitteln und vor allem Personal ausgestattet sein. Doch genau hier sitzt das Problem: Die Behörde verfügt weder über genügend Mittel, noch über das notwendigen Personal, dessen Stand momentan bei nur rund 50 % der tatsächlich benötigten Mitarbeiter·innen liegt.

Die Situation ist derzeit besonders kritisch, da die EUStA nun die Aufgabe hat, die Mittel für den Wiederaufbau nach der Pandemie, das heißt 800 Milliarden Euro zu schützen. Dazu benötigt sie allerdings ausreichende Mittel und vor allem doppelt so viele Mitarbeiter. Zwar hat die Kommission der EUStA mehr Mittel zur Verfügung gestellt. Diese dürfen aber nicht für die Einstellung neuer Mitarbeiter verwendet werden. Dieser unverständliche Schritt der Kommission gefährdet somit nicht nur das effektive Funktionieren der neuen Behörde, sondern auch die enormen europäischen Mittel für den Wiederaufbau, die nun nicht ausreichend geschützt werden können.

Das zweite, nicht weniger wichtige Problem der EUStA ist, dass bisher nur 22 der 27 Mitgliedstaaten mitmachen. Obwohl Schweden voraussichtlich schon im nächsten Jahr beitreten wird, denken andere Länder – - Irland, Dänemark, Ungarn und Polen – noch nicht an einen Beitritt. Die unvollständige Beteiligung aller Mitgliedstaaten schadet nicht nur dem Vertrauen der Öffentlichkeit in die EU und die europäischen finanziellen Interessen, sondern erschwert auch die zwischenstaatlichen Ermittlungen erheblich.

Vor allem bei Länder wie Ungarn ist dies höchst unbefriedigend. Die Fidesz-Regierung von Viktor Orbán ist bekannt dafür, dass sie eine Reihe von ungarischen Institutionen kontrolliert, darunter auch die Ministerien, die über die Vergabe von Subventionen entscheiden. Es kommt oft vor, dass einige Subventionen bei Orbáns Kumpanen und ungarischen Oligarchen enden. Polen wiederum ist der mit Abstand größte Empfänger europäischer Subventionen.

Ein großer Dorn im Auge für das Funktionieren der EUStA ist Slowenien unter der Regierung von Premierminister Janez Janša, der sich ganz offensichtlich Viktor Orbán und Donald Trump zum Vorbild genommen hat. Slowenien hat sich zwar dem Projekt der europäischen Staatsanwaltschaft angeschlossen, aber Janša hat die Ernennung zweier unabhängiger slowenischer Delegierter für die europäische Staatsanwaltschaft aus persönlicher Vendetta bewusst ausgesetzt. Sie waren nämlich in der Vergangenheit an einer gegen Janša gerichteten Untersuchung beteiligt. Janša kam mit all dem davon, obwohl das slowenische Verfassungsgericht auf deren Ernennung bestand und bestätigte, dass die Wahl der Delegierten völlig fair abgelaufen war.

Obwohl Slowenien der EUStA angehört, ist die Behörde somit nicht in der Lage, einen größeren Finanzbetrug oder Missbrauch von EU-Mitteln in Slowenien aufzudecken. Und damit kann sie derartige Betrügereien auch nicht verfolgen. Und das ist ein großes Problem: Slowenien hat derzeit die EU- Ratspräsidentschaft inne und gefährdet damit den Rest des europäischen Haushalts.

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Wir dürfen der EUStA nicht den Boden unter den Füßen wegziehen

Wir haben lange auf die Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft gewartet – die ersten Hinweise auf ihre Einrichtung gehen ins Jahr 1997, also eine Zeit zurück, in der Tschechien noch kein Mitglied der Europäischen Union war. Jetzt, da die Behörde endlich existiert, haben wir die Gelegenheit zu beobachten, wie wichtig sie für die Verteidigung der europäischen Gelder ist. Diese Chance sollten wir keinesfalls verpassen, und die Kommission muss verstehen, dass die Tätigkeit der EUStA gefördert werden muss und nicht unnötig und sinnlos eingeschränkt werden darf. In meinen Augen hat die Behörde in den wenigen Monaten ihres bisherigen Bestehens deutlich gemacht, dass eine Verstärkung um weitere 130 Personen sinnvoll und notwendig ist.

Europäisches Geld ist in erster Linie das Geld aller Mitgliedstaaten und ihrer Bürger. Die Kommission sollte sich daher bemühen, die anderen Staaten, die sich noch nicht beteiligen, einzubeziehen, und gleichzeitig sicherstellen, dass die teilnehmenden Staaten die Vorschriften auch tatsächlich einhalten. Unabhängig davon, ob einige Mitgliedstaaten Nettoempfänger oder Nettozahler sind, liegt es im gemeinsamen Interesse, dafür zu sorgen, dass das Geld der Steuerzahler dort eingesetzt wird, wo es tatsächlich benötigt wird, und nicht in den Taschen von Dieben und Oligarchen landet.