Auch in der online-Welt geht es nicht ohne gute Gesetze!
25.07.2022Aktuell unterliegen soziale Netzwerke, eShops und Online-Märkte der völlig veralteten E- Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000, die den Bedürfnissen und Anforderungen der heutigen Online-Umgebung einfach nicht gerecht wird. Aus diesem Grund legte die Europäische Kommission bereits im Dezember 2020 zwei Entwürfe vor: Den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA), die einen entscheidenden Schritt in der digitalen Transformation darstellen. Sie zielen im Wesentlichen darauf ab, einen Teil der in der „Offline-Welt“ geltenden Regeln auch in der „Online-Welt“ zu verankern, damit in beiden Welten die gleichen Regeln gelten. Nach mehr als einem Jahr der Verhandlungen besteht nun ein politischer Konsens über die endgültige Form.
Wie wirkt sich die neue Gesetzgebung auf mich als Nutzer·in aus? Sie bringt Einklang.
Der Digital Services Act (DSA) gleicht im Wesentlichen das derzeit starke Machtungleichgewicht zwischen dem Endnutzer, der Endnutzerin und großen digitalen Plattformen wie Meta, die Facebook betreibt, und Amazon aus. Bisher waren Nutzer·innen mehr oder weniger Sklaven dieser digitalen Giganten. Wenn bspw. Facebook Ihr Konto wegen eines angeblich unangemessenen Fotos sperrt, wird Ihnen nicht mitgeteilt, gegen welche Regeln Sie genau verstoßen haben, oder was an dem Foto unangemessen ist. Diese Prüfungen erfolgen unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz, und diese ist keineswegs unfehlbar oder meinungsneutral. Sie kann nur das, was ihre Programmierer ihr beigebracht haben, und sie arbeitet auf der Grundlage der von Programmierern bereitgestellten Eingabedaten. Ein eher komisches Beispiel ist der beliebte Witz, dass künstliche Intelligenz bei der Bilderkennung ein Croissant nicht von einer schlafenden Katze oder einem Chihuahua unterscheiden kann.
Diese neue Digitalrichtlinie sorgt dafür, dass Nutzer·innen einerseits erfahren, gegen welche Regeln sie verstoßen haben, und dass sie zweitens gegen eine solche Entscheidung Einspruch einlegen können. Gleiches gilt übrigens für den Fall, dass eine Plattform beispielsweise bestimmten Beiträgen weniger Priorität einräumt als anderen. Der unbestrittene Vorteil besteht darin, dass alle mit diesen Verfahren verbundenen Kosten von den betreffenden digitalen Giganten zu tragen sind. Künftig haben Nutzer·innen generell wesentlich mehr Rechte und können kontrollieren, was sie auf der Plattform zu sehen bekommen. Dies setzt natürlich auch voraus, dass die Nutzer·innen bessere Kenntnisse darüber haben, wie sie diese Rechte verwalten können.
Gleichzeitig werden die Plattformen dazu verpflichtet, an eine zentrale europäische Datenbank zu melden, welche Beiträge sie aus welchen Gründen gelöscht haben, damit unabhängige Überwachungsstellen beurteilen können, ob die betreffende Plattform bestimmte Meinungsströmungen bevorzugt. Daneben müssen die Plattformen ihre Algorithmen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten zugänglich machen. Heute hört man oft, dass Facebook oder Twitter die Liberalen oder umgekehrt die Konservativen begünstigen. Wie es sich aber tatsächlich verhält, lässt sich erst auf der Grundlage relevanter Daten sagen, die nun dank dem Digital Services Act bald verfügbar sein werden.
Ein weiteres aktuelles und kontroverses Thema ist die zielgerichtete Werbung auf digitalen Plattformen. Laut DSA ist gezielt an minderjährige Nutzer·innen gerichtete Werbung verboten. Eine weitere Einschränkung ist das Verbot gezielter Werbung auf der Grundlage bestimmter personenbezogener Daten wie sexuelle Ausrichtung, ethnische Zugehörigkeit oder religiöse Überzeugungen.
Ab welcher Unternehmensgröße wird dieses Gesetz schlagend?
Es betrifft eine breite Palette von Online-Vermittlern – Cloud-Dienste, Online-Marktplätze, soziale Netzwerke, Plattformen für die gemeinsame Nutzung von Inhalten, App-Stores und Online-Plattformen für Reisen und Unterkünfte. Die weitreichendsten Vorschriften in diesem Gesetz über digitale Dienste konzentrieren sich auf die „sehr großen Online- Plattformen“, die erhebliche soziale und wirtschaftliche Auswirkungen haben und mindestens 45 Millionen Nutzer pro Monat in der EU erreichen (was 10 % der Bevölkerung entspricht). Zu diesen zählen u. a. Google, Facebook, Twitter und Amazon. Ein wichtiger Punkt der Richtlinie ist, dass für die meisten digitalen Dienstleistungen die Vorschriften jenes EU- Mitgliedstaats gelten, in dem der betreffende Dienstleister niedergelassen ist, und nicht die Vorschriften aller Länder, in denen er seine Dienstleistungen erbringt. Zudem ist in dem Entwurf festgelegt, wie bei Verstößen gegen die neuen Vorschriften vorzugehen ist. Digitalen Plattformen drohen Geldbußen von bis zu 6 % ihres weltweiten Jahresumsatzes.
Und was konkret bringt mir als Nutzer·in das Gesetz über digitale Märkte?
Dieses Gesetz reguliert die sog. Gatekeeper, d. h. die großen digitalen Plattformen, die den Zugang zu digitalen Märkten für andere Unternehmen kontrollieren. Sie haben eine starke Vermittlerposition, d. h. sie verbinden eine große Nutzers·innenbasis mit einer großen Anzahl von Unternehmen. Die Verbraucher·innen werden aus einem breiteren Angebot an qualitativ besseren Diensten wählen, Anbieter leichter wechseln können und direkten Zugang zu Diensten mit faireren Preisen haben. Gleichzeitig wird das Umfeld für gewerbliche Nutzer, die auf Gatekeeper angewiesen sind, um ihre Dienste im Binnenmarkt anzubieten, fairer. Im Gegenzug wird es den „Gatekeeper“ verunmöglicht, unlautere Praktiken gegen von ihnen abhängige Unternehmen und Kunden anzuwenden, um sich unzulässige Machtvorteile zu verschaffen.
Warum brauchen wir diese Gesetze? Transparenz, Transparenz und noch einmal Transparenz!
Ob es uns gefällt oder nicht, große digitale Plattformen ersetzen in gewissem Maße die öffentliche Infrastruktur. Das Argument „Wem nicht gefällt, was Google oder Facebook an Werbung schaltet, soll diese Dienste einfach nicht nutzen“ ist heute einfach nicht mehr gültig. Die große Mehrheit von uns muss diese Plattformen bis zu einem gewissen Grad nutzen und ist teilweise von ihnen abhängig. Man wird zwar üblicherweise bei der Registrierung oder bei der ersten Nutzung eines dieser digitalen Giganten, aufgefordert, in irgendwelchen Kästchen ein Häkchen zu setzen und damit zu bestätigen: „Ich stimme der Verwendung meiner personenbezogenen Daten zu“, aber seien wir uns ehrlich, wer ackert sich schon durch Dutzende Seiten für Normalverbraucher unverständlich abgefasster Bedingungen durch? Abgesehen davon, muss diesen Bedingungen ohnedies zugestimmt werden, da die Nutzung des betreffenden Dienstes nur unter Zustimmung zu eben diesen Bedingungen möglich ist.
Und genau darum muss das digitale Umfeld geordnet werden und klare, verständliche Rechte für alle Nutzer·innen einführen, damit jeglicher Missbrauch von Nutzer·innen durch die digitalen Riesen möglichst unterbunden wird. Damit jede und jeder erfahren kann, wie mit ihren/seinen Daten umgegangen wird und warum er bestimmte Inhalte angezeigt bekommt. Gleichzeitig werden die europäischen Behörden die allgemeine Funktionsweise der Plattformen unabhängig überwachen, um sicherzustellen, dass keine absichtliche Meinungsbildung betrieben wird oder beispielsweise spezielle Inhalte auf der Grundlage religiöser Überzeugungen angezeigt werden.
Der Übergang in die digitale Welt bringt letztendlich unzählige Vorteile. Die einzige Voraussetzung sind sinnvolle und klare Gesetze wie in der Offline-Welt, die den Umgang für alle Beteiligten klar regeln. Gut festgelegte Regeln gewährleisten, dass jede Nutzerin, jeder Nutzer weiß, wer ihre/seine Daten wie nutzt. Nicht umsonst ist die Digitalisierung eines der Hauptthemen der Piraten. Büros, Krankenhäuser, Unternehmen und Universitäten müssen gut gesicherte Daten, nicht Menschen(!) zirkulieren lassen.