Der Interessenskonflikt von Premier Babiš schadet nicht nur Tschechien, sondern ganz Europa. Der Kampf der Piraten geht in die Zielgerade
09.06.2021Eine meiner Haupttätigkeiten im Europäischen Parlament, genauer gesagt in seinem Haushaltskontrollausschuss (CONT), ist die Überwachung der Verteilung gemeinsamer europäischer Gelder. Sie sollen ärmeren EU-Länder die Chance geben, zu ihren reicheren Nachbarn aufzuschließen. Leider landen die Gelder aus den europäischen Fonds nicht immer in den richtigen Händen.
Ein unschönes Paradebeispiel dafür ist der tschechische Premier Andrej Babiš, der neben seinem Regierungsamt auch Besitzer des größten tschechischen Agrarkonzerns, der Firma Agrofert ist.
Der Politiker Babiš vs. der Geschäftsmann Babiš
Andrej Babiš stieg 2011 in die Politik ein. Er setzte auf professionelles Marketing, die Aura eines erfolgreichen Unternehmers und die Unterstützung durch bekannte Persönlichkeiten – Schauspieler, Sportler und Akademiker. Diese Kombination brachte ihm, zusammen mit einer massiven Werbekampagne, gleich bei der ersten Wahl einen Platz in der Regierung.
Sehr bald aber kam die Ernüchterung. Andrej Babiš verkaufte sein Unternehmen Agrofert natürlich nicht. Damit geriet er in einen veritablen Interessenskonflikt, das heißt, dort, wo er die Interessen der Bürger seines Landes vertreten sollte, entsteht ihm ein direkter Vorteil, wenn er stattdessen die Interessen eines bestimmten, genauer gesagt seines Unternehmens verteidigt.
Der Interessenskonflikt von Premier Babiš manifestiert sich auf mehreren Ebenen, und alle schaden Tschechien und Europa.
Hier geht es zuallererst um die Verabschiedung von Gesetzen. Ein gutes Beispiel ist die Beimischung von Biokomponenten zu herkömmlichen Treibstoffen. Dieses Gesetz hat, obwohl gut gemeint, nicht die beabsichtigte Schonung der Umwelt gebracht – vielmehr hat es dafür gesorgt, dass wir nun vorrangig rapsgelbe Felder haben, und die Unternehmen von Andrej Babiš stark profitieren. Der Vorschlag der tschechischen Piraten, die verpflichtende Beimischung von Biokomponenten aufzuheben, wurde nicht aufgegriffen – dies wäre nicht im Interesse von Andrej Babiš gewesen.
Und dann sind da noch die bereits erwähnten Subventionen. Im Unterschied zu, beispielsweise, Deutschland zählt Tschechien zu den sogenannten Nettoempfängern. Das bedeutet, dass unser Land mehr an europäischen Subventionen erhält, als es in den gemeinsamen europäischen Haushalt abführt. Subventionen könnten eine großartige Chance zur Modernisierung der tschechischen Wirtschaft und zum Aufholen gegenüber dem höher entwickelten Westen sein. Stattdessen fließen in Tschechien jährlich mehr als 100 Millionen Euro in die Firmen von Andrej Babiš (in diesem Betrag sind auch öffentliche Aufträge enthalten; die EU-Subventionen belaufen sich auf etwa ein Drittel).
Das, obwohl die Vorgaben der EU in Bezug auf Subventionszahlungen kristallklar sind – Interessenskonflikte sind unzulässig. Dieses Problem löste Andrej Babiš mit einem Trick. Er verschob seine Firmen in Treuhandfonds, die seine engsten Mitarbeiter kontrollieren. So weit, so richtig. Der Teufel steckt aber in einem winzigen Detail: Babiš kann jederzeit die Auflösung dieser Fonds beschließen und damit wieder rechtmäßiger Eigentümer der gegenständlichen Unternehmen werden. Daraus ergibt sich, dass ihm am Wohlergehen dieser Firmen gelegen ist.
Derselbe Andrej Babiš führt eine Regierung, die tapfer, um nicht zu sagen mit allen Mitteln, jede Krone für Agrofert verteidigt und die Unterscheidung zwischen staatlichen und privaten Angelegenheiten bestmöglich verschleiert.
Tschechien kämpft für Agrofert
Das Land ist nun in einer völlig absurden Situation – die Europäische Kommission hält die Auszahlung von Subventionen an Agrofert zurück und der Staat protestiert dagegen. Kürzlich brachte der tschechische Staat sogar beim Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen die Kommission ein! Darin wird behauptet, dass sich Babiš aufgrund des Treuhandfonds-Konstrukts in keinerlei Interessenskonflikt befindet.
Das ist ungeheuerlich und inakzeptabel. Diese Argumentation Tschechiens wurde auch durch das seitens der Europäischen Kommission durchgeführte Audit eindeutig widerlegt. Aufgrund dieser Haltung der tschechischen Regierung droht nun sogar eine zumindest vorläufige Einstellung sämtlicher Subventionen für Tschechien. Babišs Schlamassel würde damit alle strafen, die EU-Gelder für sinnvolle Investitionen in moderne und nachhaltige Technologien nutzen wollen.
Als EU-Abgeordneter habe ich mich beispielsweise für die Verabschiedung einer Entschließung des Europäischen Parlaments zum Interessenskonflikt von Babiš eingesetzt und gehörte der Delegation des CONT-Ausschusses an, die diesen direkt in Tschechien untersuchte.
Babiš muss sich entscheiden
Es gibt eine sehr einfache Lösung für dieses Problem. Entweder Babiš verkauft (tatsächlich, und nicht nur auf dem Papier) all seine Firmen, oder er stellt seinen Posten als Premier zur Verfügung. Ein weiterer Punkt sind Budgetverhandlungen. Wenn nicht erkennbar ist, ob er die Interessen unseres Landes oder seiner Unternehmen vertritt, hat er bei diesen nichts zu suchen. Es ist höchste Zeit – der Premier versucht wieder einmal Gesetze durchzusetzen, die seine Position weiter verschleiern und einen peinlichen Nebel um Treuhandfonds erzeugen würden.
Der Hoffnungsschimmer am Horizont sind die Wahlen im Oktober. Die aktuellen Favoriten sind die Piraten und die Gruppierung STAN, eine in der politischen Mitte angesiedelte Mehrparteienkoalition von Bürgermeistern und Unabhängigen. Diese Konstellation bedeutet, dass es zum ersten Mal seit langer Zeit eine tatsächliche und realistische Chance auf eine echte Veränderung gibt. Es liegt im gesamteuropäischen Interesse, dass Gelder aus dem gemeinsamen Haushalt zur tatsächlichen Entwicklung von Volkswirtschaften führen, nicht aber zur Bereicherung einzelner Big Player.