In der EU sind die Frauenrechte bis heute keine Selbstverständlichkeit. Ohne weiteren Schutz sind sie tatsächlich in Gefahr!

16.08.2022
Wir haben im Europäischen Parlament die Forderung eingebracht, dass das alleinige und unbeeinflusste Entscheidungsrecht der Frauen in Bezug auf ihren Körper als europäisches Grundrecht zu verankern ist.

Vorsichtig ausgedrückt ist es einfach nur traurig, dass wir auch im 21. Jahrhundert noch daran erinnern müssen, dass Frauen Rechte haben. Bedauerlicherweise gibt es noch immer Leute, insbesondere konservative Politiker, die das bis heute nicht verstanden haben.

Wie wir vor einem Monat in den USA sehen konnten, sind selbst die Grundrechte der Frauen nicht immer selbstverständlich. Die Aufhebung des 50 Jahre alten Urteils Roe Vs. Wade durch den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten war ein deutlicher Weckruf – der Kampf für die Rechte der Frauen ist noch nicht dauerhaft gewonnen. Ganz Im Gegenteil – es besteht großer Nachholbedarf.

Dass zeigt sich auch in Europa. Hier ist das Recht der Frauen auf Abtreibung von Land zu Land höchst unterschiedlich geregelt. Während es in einigen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist, müssen Frauen in anderen Ländern, wo mächtige konservative Lobbyisten das Wort haben und ultrakonservative Regierungen am Ruder sitzen, darum kämpfen. Es lässt sich nicht schönreden – auch in der EU gibt es Länder, in denen Abtreibung komplett illegal ist.

Wie konnte es dazu kommen, dass in westlichen Demokratien die Grundrechte der Frauen abgeschafft werden? Ganz einfach. Es reicht schon, wenn die richterliche Besetzung eines Landes in der Kompetenz einer größenwahnsinnigen, ultra-konservativen Rechtspartei liegt und diese ihre eigenen, politisch voreingenommenen Richter einsetzen kann. Und genau deshalb liegt uns die Rechtsstaatlichkeit so sehr am Herzen. Nur sie kann ein Land vor richterlicher Rechtsbeugung schützen.

Schwarze Schafe

In Tschechien orientieren wir uns in der Abtreibungsthematik in erster Linie an der überraschend liberalen Haltung der ehemaligen Ostblockländer. Abtreibung war hier bereits 1950 erlaubt, d. h. rund 25 Jahre früher als im Durchschnitt der westlichen Länder.

In der EU gibt es bis heute Länder, in denen Frauen diese Rechte noch immer verwehrt sind. Ich denke dabei insbesondere an Malta, das als letzter EU-Mitgliedsstaat (mit Ausnahme von Kleinststaaten wie Andorra und Liechtenstein, die jedoch nicht offiziell zur EU gehören) Abtreibungen nicht zulässt. Die Abtreibungsgesetze haben sich in diesem kleinen Inselstaat vor allem wegen der starken Rolle der Kirche und der Familienbeziehungen nicht bewegt. Der Widerstand sowohl der Regierung als auch der Opposition in Malta stand in letzter Zeit wegen der neuen Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, im Rampenlicht, die bisher allerdings keine Anstalten macht, sich auf die Seite der Frauenrechte stellen zu wollen.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass in Europa und auf der ganzen Welt allgemeiner Konsens darüber besteht, dass Frauen das Recht haben müssen, frei über ihren Körper bestimmen zu können. Nach Angaben von Politico.eu befürworten 59 % der Männer und 73 % der Frauen diese Selbstbestimmung.

Wer zieht an den Fäden?

In vielen EU-Mitgliedstaaten verbessert sich allmählich die Einstellung der Öffentlichkeit zum Schwangerschaftsabbruch. So hat beispielsweise das traditionell sehr konservative und katholische Irland 2018 unter großem Jubel Abtreibungen bis zur 12. Wochen zugelassen und sich damit dem Rest des Westens angeschlossen. Spanien, wo Abtreibungen praktisch illegal waren, hat sich zu einem Land entwickelt, in dem nicht nur Abtreibungen legal sind, sondern in dem Frauen jetzt auch die Kosten für hormonelle Verhütungsmittel erstattet werden. In einigen skandinavischen Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche sogar bis zur 22. Woche möglich.

Damit sind wir aber auch schon am Ende der positiven Beispiele. In den letzten zehn Jahren sind in Europa unglaublich viele verschiedene Bewegungen entstanden, die den Frauen das Recht auf ihren Körper absprechen wollen. Diese werden nicht selten aus ausländischen Quellen, im Fall der ungarischen Regierung, sogar mit Geldern der Europäischen Union finanziert. Bei viele führt die Spur jedoch zu den amerikanischen Republikanern und Fernsehpredigern mit Verbindungen zu Ex-Präsident Donald Trump – zu genau jenen, die es geschafft haben, Roe Vs. Wade zu kippen. Allein zwischen 2009 und 2018 sollen zu diesem Zweck 81,3 Millionen US-Dollar aus den USA nach Europa geflossen sein.

Sie können sich wahrscheinlich denken, von wem wir sprechen. In Tschechien ist es zum Beispiel die Pro-Life-Bewegung, die erst kürzlich für Aufregung sorgte, als bekannt wurde, dass sie ukrainischen Frauen empfiehlt, sich mittels Hupen oder Signalhörnern gegen Vergewaltigungen durch russische Soldaten zu wehren. Diese Bewegung hat, bedauerlicherweise, auch in Tschechien haben Erfolge – wie käme es sonst, dass sie heute das Ministerium für Arbeit und Soziales unter dem Minister Marian Jurečka von der KDU-ČSL, einer christlich-demokratischen Partei, berät?

Am erfolgreichsten in Europa ist bisher jedoch der polnische Ordo Iuris, der zusammen mit der ultra-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) praktisch die polnische Gesetzgebung zu den Rechten der Frau bestimmt – und dabei gefährlich erfolgreich ist.

Europa hat noch nicht gewonnen

Aus Polen, dem ersten europäischen Land, das neben der Sowjetunion, Abtreibungen zumindest unter bestimmten Bedingungen erlaubt hatte, ist heute ein Freilichtmuseum für mittelalterliche Ideen geworden. Um diesen unrühmlichen Status hat sich insbesondere die polnische Kirche verdient gemacht, die seit dem Fall des Kommunismus wieder enormen Einfluss im Land gewonnen hat. Seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2015 hat die ultra-konservative PiS-Regierung das Recht der Frauen auf freie Entscheidung schrittweise beschnitten, bis sie praktisch keine mehr hatten. Das heißt, nur im Falle einer Vergewaltigung oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens der Mutter.

Gelungen ist der PiS-Regierung die Einschränkung dieses Frauenrechts dadurch, dass sie die Kontrolle über die Gerichte übernommen hat. Dass 75 % der Polen für dieses Frauenrecht sind, scheint für die polnische Regierung irrelevant zu sein. In einer Reihe umstrittener Justizreformen ist es der Regierungspartei gelungen, nach und nach ihre eigenen politisierten Richter am Obersten Gerichtshof einzusetzen, die nun im Sinne der PiS-Partei entscheiden.

In Ungarn ist die Situation etwas besser, doch seit 2010 bemüht sich die Fidesz-Regierung von Viktor Orbán, Frauen den Zugang zu einer Abtreibung zu erschweren. Orbáns zunehmende auf ein traditionelles Familienbild zugeschnittene Rhetorik verschärft sich Jahr für Jahr. Orbáns Einfluss nahm in diesem Jahr noch weiter zu, nachdem Katalin Kovacs, die ehemalige stellvertretende Fidesz-Premierministerin und Familienministerin, die das Recht der Frauen auf freie Entscheidung in Abtreibungsangelegenheiten mit einer Lizenz zum Töten vergleicht, ungarische Staatspräsidentin wurde.

Die größte Gefahr für die Frauenrechte in Ungarn geht jedoch von der Verfassungsmehrheit aus, über die die Fidesz-Partei seit 2010 verfügt. Schon damals verankerte die Verfassungsmehrheit den Schutz des Fötus ab dem Zeitpunkt der Empfängnis. Nun bemüht sich die ungarische Regierung nach dem Vorbild Polens, die Kontrolle über den Obersten Gerichtshof zu erlangen, wo sie trotz des Protests der dortigen Richter ihren eigenen, sehr inkompetenten Unterstützer durchgesetzt hat.

Auch bei unseren Nachbarn in der Slowakei sind die Rechte der Frauen keine Selbstverständlichkeit. In den letzten Jahren scheiterten Beschränkungen für sie jeweils nur an einer einzigen Stimme im Unterhaus. Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein solcher Vorschlag auch das slowakische Verfassungsgericht passieren würde. In Italien übt die katholische Kirche, aber auch die rechtsextreme Lega Nord von Matteo Salvini immer stärkeren Druck auf das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, aus. In England wird derzeit über das dortige Menschenrechtsgesetz debattiert, das das Recht der Frauen auf Abtreibung bisher nicht schützt.

Die Menschenrechte müssen unter allen Umständen verteidigt werden!

Frauenrechte sind Menschenrechte, und das Recht, frei über den eigenen Körper zu entscheiden, gehört definitiv dazu. Wie diese Rechte in den einzelnen Ländern angewendet werden, obliegt letztlich aber immer den Gerichten und der jeweiligen Rechtslage.

Deshalb habe ich im Europäischen Parlament den Vorschlag unterstützt, dass das Recht, frei über den eigenen Körper zu entscheiden, in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufgenommen wird. Wenn dieser Vorschlag angenommen wird, ist dieses Recht auch für Länder wie Polen oder Malta verbindlich, da das europäische Recht dem der Mitgliedstaaten übergeordnet ist.

Gleichzeitig muss auch sichergestellt werden, dass kein Mitgliedsstaat gegen die Menschenrechte verstößt, zu deren Schutz er sich im Rahmen des EU-Beitritts verpflichtet hat. Das bedeutet, dass wir unabhängige und unpolitische Gerichte verteidigen müssen, die tatsächlich unabhängig von den Vorgaben der lokalen Regierungen entscheiden.

Dies, obwohl die Rechtsstaatlichkeit auch heute schon auch anderweitig auf vielfältige Weise verteidigt wird. So verfügt die Kommission beispielsweise über einen Konditionalitätsmechanismus, der die Auszahlung europäischer Gelder an die einzelnen Mitgliedsstaaten auf Grundlage der Rechtsstaatlichkeit vorsieht. Ungarn bekommt diesen Mechanismus bereits zu spüren. Leider ist dieser Prozess unglaublich langsam, und die Kommission sollte einen Gang höher schalten – d. h. endlich ein Verfahren gegen Polen beginnen, wo die Regierung örtliche Richter, die Opposition und sexuelle Minderheiten durch manipulierte Gerichte einschüchtert.

Europa darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. In einigen Mitgliedstaaten nehmen die Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit der Gerichte und die Menschenrechte zu. Die Verteidigung unabhängiger Gerichte gegen die Bestrebungen konservativer Populisten, Europa in ein pseudo-autoritäres Freilichtmuseum zu verwandeln, sollte daher für uns alle oberste Priorität haben. Denn es sind die unabhängigen Gerichte, die Ihnen in Zukunft das Leben retten können.