Sie haben über das Internet einen ungünstigen Vertrag abgeschlossen? Die EU steht hinter Ihnen – die neue Richtlinie schützt Verbraucher·innen vor Verdrängungspraktiken

19.12.2022
Sie kennen das – den ganzen Tag lang läutet das Telefon, eine Ihnen unbekannte Nummer wird angezeigt, lange gehen Sie nicht ran, aber beim zehnten Mal melden Sie sich doch und hören die superfreundliche Stimme eines Callcenter-Mitarbeiters.

Man rufe wegen der garantiert rentabelsten Geldanlage bei einer vorteilhaften Rentenversicherung an. Es kann sich aber auch um einen Betreiber- oder Anbieterwechsel handeln, damit man „garantiert spart“, in diesen Zeiten. Man würde es kaum glauben... Habe ich nun tatsächlich etwas abgenickt? Was genau? Und will ich das wirklich haben?!

Es nützt nichts, aufgrund der aktuellen Gesetzeslage gibt es oft keinen Weg zurück. Und genau das soll die neue europäische Richtlinie über den sogenannten Fernabsatz u. a. lösen.

Der Covid-Boom

Online- oder telefonische Vertragsabschlüsse, die ohne persönlichen Kontakt zwischen Kunden und Verkäufern auskommen, haben sich in den letzten Jahren vor allem aufgrund der COVID-19-Pandemie stark verbreitet. Und damit meine ich jetzt nicht „betrügerische“ Angebote, die das Blaue vom Himmel versprechen, wie im ersten Absatz skizziert, sondern ganz normale Abschlüsse, beispielsweise von Versicherungs- oder Kapitalanlageverträgen.

Deshalb arbeiten wir jetzt im Europäischen Parlament daran, einen möglichst umfangreichen Schutz für Verbraucher·innen in solchen Situationen zu schaffen. Gleichzeitig wollen wir auch die Regeln für das Anbieten von Finanz- und ähnlichen Dienstleistungen innerhalb des EU-Binnenmarktes vereinheitlichen.

Was genau soll diese neue Richtlinie abdecken? Sie soll Verbraucher·innen in Situationen helfen, in denen sie gegenüber einem Verkäufer bisher benachteiligt sind – zum Beispiel, wenn sie zu Hause oder auf der Straße unvorbereitet angesprochen werden. Hier zielt das Europäische Parlament vorrangig auf sämtliche Finanzdienstleistungen ab also Bank-, Kredit-, Versicherungs-, Renten-, Anlage- oder Zahlungsdienste, die per Fernkommunikation (d. h. ohne physische Anwesenheit sowohl des Händlers als auch des Verbrauchers) vereinbart werden.

Klare Konditionen, bessere Verständlichkeit und Rücktrittrecht ohne Ausreden

Einer der wichtigsten Punkte ist dabei, dass die Richtlinie vorschreibt, welche Informationen Verbraucher·innen jedenfalls vor Abschluss eines Fernabsatzvertrages nachweislich erhalten müssen (die sog. vorvertraglichen Informationen). Betroffene Anbieter müssen Verbraucher·innen diese Informationen zeitnah und jedenfalls vor Vertragsabschluss zukommen lassen – vor allem aber müssen diese klar und verständlich formuliert auf elektronischem Weg oder in Papierform übermittelt werden. Auf diese Weise verhindern wir alle Arten von Schlupflöchern und versteckten Bedingungen, die heute im Fernabsatz routinemäßig angewendet werden.

Die Richtlinie besagt weiter, dass das Recht auf Rücktritt vom Vertrag ein Grundrecht jedes Verbrauchers, jeder Verbraucherin ist. Die Funktionsweise einiger Finanzprodukte und - dienstleistungen ist manchmal selbst für Fachleute schwer zu verstehen, geschweige denn für Laien. Deshalb ist die Möglichkeit eines Vertragsrücktritts besonders in diesem Bereich so wichtig.

Daher führen wir beispielsweise für den Abschluss von Finanzdienstleistungsverträgen im Fernabsatz über das Internet für alle Anbieter die obligatorische Bereitstellung einer Rücktritts-Schaltfläche ein, die zudem mit erläuternden Informationen versehen sein muss. Dadurch wird es für Verbraucher·innen viel einfacher, einen ungünstigen Vertrag zu kündigen oder von einem „Testkauf“ zurückzutreten.

Nicht zuletzt besteht eine wesentliche Änderung darin, dass Erscheinungsbild und Struktur der Online-Umgebung selbst, in der Kund·innen Finanzprodukte kaufen können, die Bedingungen der angebotenen Dienstleistungen klarer und einfacher kommunizieren müssen. Damit können Online-Plattformen ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen beispielsweise nicht mehr irgendwo in der unteren Ecke verlinken, vielleicht noch in einer Schrift, die ohne Lupe gar nicht lesbar wäre. Ebenso sollten mit der neuen Richtlinie diverse „Sonderangebote“ verschwinden, von deren Konditionen Kund·innen so gut wie nichts bekannt ist. Und das ist gut so. Unser Ziel ist im Grunde ganz einfach: Unlautere Praktiken, die es Verbraucher·innen mehr oder weniger unmöglich machen, eine freie, unabhängige und informierte Entscheidung zu treffen, müssen gnadenlos vom Markt gefegt werden. Denn wenn sich die Bürgerinnen und Bürger in der heutigen schnelllebigen und übersättigten Welt eines verdienen, dann ist es zumindest eine offene und direkte Kommunikation.