Der Europäische Rechnungshof: Wie der Wachhund den Europäischen Haushalt bewacht, und warum Sie das interessieren sollte.

16.02.2022
Jährlich fließen unvorstellbare Geldmengen durch die Europäische Union. Und wer kümmert sich um sie?

Kennen Sie die Höhe der jährlichen Ausgaben der Europäischen Union? Schlappe 1,1 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU, und dennoch eine enorme Summe, die gut und gerne das Dreifache des Jahreshaushalts der Tschechischen Republik ausmacht. Allein 2020 beliefen sich die Ausgaben der Europäischen Union auf 173 310 Millionen Euro. Diese enorme Summe bezieht sich allerdings nicht nur für die 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Tschechien, sondern auf alle 447 Millionen EU-Bürger·innen, einschließlich jener, die in Tschechien leben.

Die Europäische Kommission ist zwar für die Verwaltung des europäischen Haushalts zuständig, kann aber nicht alles selbst kontrollieren und ist daher auf die Hilfe spezialisierter Institutionen angewiesen. Deshalb gibt es den Europäischen Rechnungshof (EuRH), der als oberstes Kontrollorgan der EU die öffentlichen Finanzen der Union prüft.

Der EuRH ist für die EU und ihren Haushalt absolut unverzichtbar. Daher müssen seine Leitung und die Mitarbeiter·innen in höchstem Maße unabhängig, transparent und vor allem qualifiziert sein. Das Geld der europäischen Steuerzahler braucht die Effizienz dieser Behörde. Als Mitglied des Haushaltskontrollausschusses (CONT) stimme ich regelmäßig mit meinen Kollegen über die Empfehlung einzelner Kandidaten für diese anspruchsvolle Position ab.

Das Budget des gesamten Kontinents

Die Verwaltung eines gemeinsamen Haushalts für alle 27 Mitgliedstaaten ist kein Kinderspiel. Daher beschließt die EU alle 7 Jahre einen mehrjährigen Finanzrahmen, der mehr oder weniger festlegt, wie viel die EU in den kommenden Jahren für welche Projekte ausgeben wird. Die Prioritäten variieren von einem Rahmen zum anderen. Der aktuelle (2020-2027) trägt beispielsweise der verheerenden Covid-Pandemie Rechnung, indem er den Wiederaufbaufonds NextGenerationEU einrichtet, in den die Kommission rund 750 Milliarden Euro investiert hat.

Etwa ein Drittel des gesamten EU-Haushalts fließt in natürliche Ressourcen wie landwirtschaftliche Betriebe, ein weiteres geht in die Kohäsion, also die Entwicklung rückständiger Regionen, und den größte Teil des dritten Drittels verschlingen Maßnahmen für nachhaltiges Wachstum. Es sei darauf hingewiesen, dass 80 % dieses Budgets im Rahmen der „geteilten Mittelverwaltung“ ausgegeben werden, bei der die EU-Mitgliedstaaten selbst für die Zuweisung der Mittel und die Ausgaben für einzelne Projekte verantwortlich sind.

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Der Wachhund über die europäischen Finanzen

Dieses augenscheinlich komplexe System wird von zahlreichen Prüfstellen, u. a. dem Europäischen Rechnungshof (EuRH), überwacht. Als unabhängiges externes Kontrollorgan der Europäischen Union hat der EuRH die Aufgabe, sicherzustellen, dass alle Gelder aus dem riesigen europäischen Haushalt tatsächlich an ihrem vorgesehenen Bestimmungsort landen und dort zur Erreichung der vorgegebenen Ziele eingesetzt werden.

Die vom EuRH erstellten Berichte und durchgeführten Prüfungen dienen einem breiten Spektrum europäischer Institutionen, wie der Kommission, anderen EU-Einrichtungen sowie Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten. Im Rahmen seiner Prüfungen warnt der Rechnungshof vor Risiken, zeigt Schwachstellen auf und gibt Empfehlungen zur Verbesserung der Steuerung der EU-Finanzpolitik. Kurz gesagt, überwacht der Rechnungshof die ordnungsgemäße Verwaltung der EU-Finanzen, zeigt Verbesserungsmöglichkeiten auf und warnt vor Mängeln.

Erwähnenswert ist auch die wichtige Rolle des Rechnungshofs, insbesondere bei der Erstellung des Jahresberichts nach Abschluss eines Haushaltsjahres. Auf der Grundlage des Berichts, in dem die ordnungsgemäße Erfüllung des 7-jährigen Haushaltsplans geprüft wird, entlastet das Europäische Parlament die Kommission, d. h. es wird eine Bescheinigung über das Ende des Haushaltsjahres ausgestellt.

Wer überwacht wen?

Trotz aller Kontrollen gibt es immer wieder Fehler bei den Ausgaben der EU. 2020 wurden knapp zwei Drittel aller kontrollierten EU-Ausgaben als ziemlich riskant eingestuft. Obwohl die Fehlerquote rückläufig ist, lag sie 2020 doch bei 4 Prozent dieser Ausgaben – immer noch deutlich mehr als vertretbar wäre. Ebenso findet der EuRH jedes Jahr Fälle von Betrügereien mit europäischen Geldern – allein im Jahr 2020 waren es sechs.

Als unabhängiges Prüforgan hat der EuRH keine Befugnis, mutmaßliche Betrugsfälle mit nachteiligen Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der EU selbst zu untersuchen. Stellt er einen Fall von Betrug, Bestechung oder anderen Unregelmäßigkeiten fest, so meldet er dies sofort zwei europäischen Ermittlungsbehörden - dem Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und bei schweren Vergehen der neuen Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO), für deren Gründung ich mich über viele Jahre hinweg eingesetzt habe.

Einige unter Ihnen werden sich jetzt vielleicht sagen, dass es ja gut und schön ist, wenn der europäische Haushalt von einer unabhängigen Behörde kontrolliert wird. Aber wer kontrolliert dann den Kontrollor? Eine durchaus berechtigte Frage. Als Hüter der EU- Finanzen muss der Europäische Rechnungshof so transparent und moralisch wie nur irgend möglich sein. Daher wird diese Behörde jedes Jahr von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer begleitet, und die Ergebnisse dieser Prüfung werden zusammen mit anderen relevanten Informationen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

Das Abstimmungsverhalten hat Luft nach oben

Die Abstimmung über Nominierungen für die Mitgliedschaft im Europäischen Rechnungshof ist für die Qualität der Arbeit des EuRH absolut entscheidend. Alle 27 Mitglieder müssen umfassende Erfahrung in der Verwaltung und Kontrolle öffentlicher Gelder mitbringen und zudem garantiert unabhängig von der Regierung ihres jeweiligen Landes agieren und entscheiden können. Ein nicht unabhängiges Mitglied könnte nämlich im Fall einer schwerwiegenden Unregelmäßigkeit, eines Betrugs oder einer korrupten Handlung, in die sein Land ggf. verwickelt ist, nicht objektiv vorgehen. Was etwa dazu führen könnte, dass der/die Vertreter·in des betreffenden Landes einen Vorfall nicht zur Untersuchung weiterleiten, sondern ihn unter den Teppich kehren könnte.

Kandidaten für den EuRH müssen zunächst von der jeweiligen Regierung nominiert werden. Anschließend folgt ihre Überprüfung durch den Haushaltskontrollausschuss, in deren Rahmen sie komplexe und sachliche Fragen beantworten müssen, die meine Kollegen und ich zur Feststellung ihrer Qualifikation stellen. Nachfolgend stimmt der Ausschuss über die Kandidaten ab und gibt eine Empfehlung an das Parlament, das sodann ebenfalls abstimmt.

Das in diesem Aufnahmeverfahren letzte Wort hat allerdings der aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammensetzende Europäische Rat, der schließlich über die Zulassung oder Ablehnung jedes einzelnen Kandidaten entscheidet. Während der Rat seine Entscheidung über die Kandidaten erst nach Bewertung der Stellungnahme des Parlaments trifft, ist er in seiner Entscheidung nicht an diese Bewertung gebunden. Auf Papier liest sich das ganz wunderbar, die reale Umsetzung ist allerdings ziemlich kompliziert.

Das zeigt sich beispielsweise am aktuellen Mitglied aus Polen, Marek Opiola. Als Berichterstatter der Fraktion (Die Grünen/Europäische Freie Allianz - EFA) habe ich Hrn. Opiola im Rahmen der Befragung durch den Haushaltsausschuss (CONT) einige Fragen gestellt, die er nicht zufriedenstellend beantworten konnte. Zudem hat er auch keinerlei Erfahrung im Bereich der Haushaltskontrolle und ist eher für seine Nähe zum Militär bekannt. Möglicherweise ist auch diese der Grund dafür, dass er für seine diversen politischen Kampagnen unzulässigerweise polnische Militärfahrzeuge nutzte.

Marek Opiola ist nicht nur unqualifiziert, sondern auch stark parteiverbunden er arbeitete über Jahre hinweg für die konservative polnische Partei Recht und Gerechtigkeit. Trotz alledem und einer klaren negativen Empfehlung des Parlaments berief ihn der Rat dennoch in das Amt. Das undemokratische Verhalten des Rates ist ein großes Problem und ruft nach angemessenen Reformen, damit sich solche Fälle nicht wiederholen können.

Da die Mitglieder des Europäischen Rechnungshofs direkten Einfluss auf die europäischen Finanzen haben, sollten die Institutionen mit allen Mitteln sicherstellen, dass ausschließlich die Kompetenz des jeweiligen Kandidaten für eine solche Position ausschlaggebend ist und Vetternwirtschaft keine Chance hat.