Europa rettet den Rechtsstaat. Die Piraten haben einen Plan

17.10.2022
Die aktuelle Situation in Polen und Ungarn zeigt, dass der Kampf um Rechtsstaatlichkeit in Europa noch lange nicht geschlagen ist. Die Piraten zeigen Wege zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Europa auf.

Aktuell hat Europa mit den Ereignissen der letzten Monate alle Hände voll zu tun. Neben dem Krieg in der Ukraine, der wachsenden Inflation und der Energieversorgungssicherheit gibt es eine weitere Front – den Kampf um die Rechtsstaatlichkeit.

Zunehmende Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit, die unabhängigen Gerichte, die freie Presse oder die Menschenrechte seitens einiger Mitgliedstaaten bedeuten eine ähnliche, wenn nicht sogar größere Gefahr für Europa als alle oben genannten Ereignisse. In Gefahr sind nämlich genau jene demokratischen Grundrechte und bürgerlichen Freiheiten, die das Fundament der Europäischen Union darstellen.

Zwar verfügt die Kommission verfügt über eine Reihe von Instrumenten zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in Europa, sehr erfolgreich ist sie in diesem Kampf aber bislang nicht. Einzelne Regierungen arbeiten systematisch an der Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit und das sogar mit europäischem Geld.

Für mich als Pirat ist der Schutz der demokratischen Werte, der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit absolut vorrangig. Deshalb setze ich mich im Europäischen Parlament für eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung des Kampfes für die Rechtsstaatlichkeit ein.

Die Rechtsstaatlichkeit zählt zu den Grundpfeilern einer demokratischen Welt. Sie ist auch die Grundlage der Europäischen Union, die sie bereits im zweiten Artikel des EU-Vertrags erwähnt. Die Staatsgewalt muss sich daran halten und sich gegenüber ihren Bürgern stets im Rahmen der Gesetze bewegen. Sie dient vor allem als Versicherung, dass der Staat im Interesse seiner Bürger und nicht nur zu seinem eigenen Vorteil handelt.

Der niemals endende Kampf für die Rechtsstaatlichkeit

Wenn Sie mir schon eine Weile folgen oder sich für europäische Politik interessieren, wissen Sie wahrscheinlich um den Dauerkonflikt zwischen der Europäische Union und den pseudoautoritären Regierungen der PiS in Polen und der Fidesz von Viktor Orbán in Ungarn. Tatsächlich sind die Regierungen dieser beiden Visegrad-Staaten in Europa Vorkämpfer bei der Verletzung der Rechtsstaatlichkeit.

Auch die u. a. für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsländern verantwortliche Europäische Kommission, ist sich des besorgniserregenden Zustands derselben bewusst. So hat sie beispielsweise vor einigen Jahren damit begonnen, Jahresberichte zum Stand der Rechtsstaatlichkeit in der EU zu veröffentlichen. Allerdings wurden die von uns geforderten diesbezüglichen Empfehlungen an betroffene Mitgliedstaaten erst seit diesem Jahr in die Berichte aufgenommen.

Bedauerlich ist, dass der Kampf für die Rechtsstaatlichkeit bisher in einer beunruhigenden Mehrheit der Fälle mit solchen Empfehlungen geendet hat. Wie uns die Fälle Polen und Ungarn gezeigt haben, verfügt die Kommission über ausreichende Instrumente zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit, scheut sich aber oft, diese auch tatsächlich einzusetzen.

In früheren Artikeln habe ich näher erklärt, was Rechtsstaatlichkeit genau bedeutet und welch wichtige Rolle sie für die EU selbst spielt. Ob Menschenrechte, unabhängige Gerichte oder eine freie Presse, sie alle sind Teil des Puzzles, das den Rechtsstaat – und die Europäische Union selbst – ausmacht.

Einstimmigkeit bei Abstimmungen im Rat eine Schwäche der EU

Erstens: Wollen wir ernsthaft die Einhaltung europäischer Regeln durch die Mitgliedstaaten sicherstellen, einschließlich der Rechtsstaatlichkeit, so müssen wir zunächst funktionierende Kontrollmechanismen einrichten. Damit geht die Notwendigkeit einher, die bisher erforderliche Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung im EU-Rat durch eine mit qualifizierter Mehrheit zu ersetzen. Europa könnte nämlich das Problem hinsichtlich der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit sehr einfach lösen. Man müsste nur Artikel 7 EUVzum Schutz europäischer Werte durchsetzen. Die in diesem Artikel enthaltenen Bestimmungen wurden zwar in Bezug auf Polen und Ungarn aktiviert, um die einzelnen Regierungen allerdings wegen diverser Regelverstöße bestrafen zu können, bedarf es der Zustimmung aller Mitgliedsstaaten. Polen und Ungarn halten sich aber gegenseitig den Rücken frei und stimmen immer dagegen. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz.

In Tschechien ist die Abschaffung der Einstimmigkeit im Rat der EU ist zweifellos ein umstrittenes Thema. Das verstehe ich natürlich – viele Menschen befürchten, dass wir als souveräner Staat gegen unsere Interessen von größeren Staaten wie etwas Deutschland oder Frankreich überstimmt werden könnten. Hier ist mein kürzlich erschienener Artikel zu diesem Thema, in dem Sie sich selbst davon überzeugen können, dass die Abschaffung der Einstimmigkeit tatsächlich sinnvoll wäre.

Geld nur für jene, die es tatsächlich verdienen

Finanzielle Sanktionen sind eine weitere praktikable Alternative, um die Einhaltung der europäischen Regeln durchzusetzen. Polen und Ungarn sind wie viele andere Mitgliedstaaten Nettoempfänger und beziehen jedes Jahr weit mehr Geld aus Europa als sie in die EU einzahlen. Für genau diese Fälle wurde im EU-Parlament der sog. Konditionalitätsmechanismus verabschiedet Regierungen, die systematisch gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen, haben keinen Anspruch auf europäische Gelder. Dieses Instrument wurde jüngst gegenüber Ungarn aktiviert. Große Fortschritte wurden allerdings noch nicht erreicht. Gegenüber Polen ist man noch zögerlich, wenngleich er hier schon mehr als dringend notwendig wäre. Das muss sich ändern.

Die Kommission knüpfte auch die Auszahlung von Geldern aus dem Europäischen Konjunkturfonds an die Rechtsstaatlichkeitsbedingung. Aber auch dort müssen wir ein Auge darauf haben - kürzlich hat beispielsweise Kommissionspräsidentin von der Leyen Polen das wenig zielführende Versprechen gegeben, Geld aus dem Fonds an Polen auszuzahlen, wenn die PiS einige Meilensteine erreicht. Diese haben allerdings nicht mit der Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit im Land zu tun, bzw. würde ihr Erreichen nicht zur Verbesserung der dortigen Rechtsstaatlichkeit beitragen. In einem solchen Fall müssten wir als Abgeordnete des Europäischen Parlaments handeln und ggf. die Absetzung der Vorsitzenden fordern wir dürfen uns hier einfach keine Fehler leisten, dafür haben wir keinen Spielraum.

Oligarchen dürfen keine weiteren Gelder erhalten

Es ist nun einmal so, dass ein korruptes System nicht in der Lage ist, die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Davon konnte ich mich kürzlich in Polen überzeugen, wo örtliche Behörden anstelle eines fairen Wettbewerbs um europäische Gelder Unterstützer der Regierung den Bürgern vorziehen. In Ungarn sichert sich Viktor Orbán nach einem ähnlichen Prinzip seit Jahren die Unterstützung der ungarischen Bonzen, an die er die europäischen Gelder mehr oder weniger wahllos verteilt.

Gleichzeitig müssen wir auch besser kontrollieren, wie die Ministerien mit europäischen Subventionen umgehen. Dafür haben wir eine Lösung es reicht, wenn einzelne EU- Mitgliedsstaaten Daten über Subventionsempfänger in einem einheitlichen, maschinell lesbaren Format erheben und veröffentlichen. Bei der Kontrolle digitalisierter Registern könnte uns die künstliche Intelligenz helfen, die in der Regel viel mehr Fehler erkennt als ein gewöhnlicher überarbeiteter Beamter.

Pressefreiheit - die Grundlage der Demokratie

Wenn wir die Rechtsstaatlichkeit verteidigen wollen, brauchen wir freie und transparente Medien. Die Kommission arbeitet derzeit am Medienfreiheitsgesetz, das sowohl für die Medien als auch für die Journalisten erhebliche Erleichterungen bringen sollte. Als Piraten möchten wir aber daran erinnern, dass ein solches Gesetz unbedingt die Transparenz der Medienbesitzer gewährleisten muss. Gleichzeitig muss es Regeln festlegen, die verhindern, dass Politiker wie Andrej Babiš die Medien zu eigenen Zwecke nutzen.

Dann müssen wir vor allem Investigativjournalisten vor Schikanen und Angriffen in Form von gerichtlichen Klagen schützen. Europa muss so schnell wie möglich ein neues Gesetz gegen SLAPP-Klagen verabschieden, damit Journalisten vor verheerenden Klagen geschützt werden. Dies wäre bspw. in Form der Abschaffung leichtfertiger Klagen und der Einführung von Erstattungen für Gerichtsverfahren.

Ohne Menschenrechte gibt es keinen Rechtsstaat

Und schließlich brauchen wir auch ein besseres System zum Schutz gemeinnütziger Menschenrechtsorganisationen. Dies ließe sich am besten über finanzielle und rechtliche Unterstützung sicherstellen. Diese Organisationen sind nämlich praktisch ständig unter Druck, seitens der Regierungen selbst, die gegen Menschenrechte verstoßen. Häufig sind es ähnliche gemeinnützige Organisationen, die auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen. Bürgerinnen und Bürger können sich an sie wenden.

Nach den Worten des tschechischen Premiers Petr Fiala zählt die Rechtsstaatlichkeit nicht zu den europäischen Priorität. Dem kann ich einfach nicht zustimmen. Die Rechtsstaatlichkeit hatte und hat für die Europäische Union immer oberste Priorität. Passen wir nicht auf sie auf, könnte sie uns im Handumdrehen völlig verloren gehen. Wir haben Vorschläge, wie mit den wachsenden Angriffen auf europäische Grundwerte umgegangen werden kann. Jetzt hängt es nur noch von der tschechischen Präsidentschaft ab – ob sie handelt oder nicht.